energiestiftung.ch energiestiftung.ch Magazin 2025-01-Energie&Umwelt → Fokus: Goodbye coal! Das Ende einer schwarzen Ära
Energie und Umwelt - Das Stromgesetz

Das Ende einer schwarzen Ära

Das Vereinigte Königreich hat 2024 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz genommen. Innerhalb kürzester Zeit konnte ein wichtiger Teil der Energiewende vollzogen werden. Ein Beispiel, das auch auf andere Kontexte angewendet werden kann.

von Léonore Hälg
Leiterin Fachbereich Erneuerbare Energien und Klima, Schweizerische Energie-Stiftung SES

30. September 2024, 16 Uhr 35 Schweizer Zeit. Ein kurzes Warnsignal erklingt, ein rotes Warnlicht blinkt kurz auf, ein kleiner Applaus ertönt. Der gelb gekleidete Operateur sagt: «Ratcliffe Power Station, Unit 4 offload» und hängt dann, ohne die Miene zu verziehen, an: «Right Boys, that’s the end of coal in the UK for electricity.» Die fast 150-jährige Geschichte der britischen Kohleverstromung endete damit.

Den Grundstein zum Erfolg legten Regierungen unterschiedlichster Couleur, die mit langfristigen Zielen und entsprechenden Massnahmen den Kohleausstieg und gleichzeitig den Erneuerbaren-Ausbau planten.

Geschichte der britischen Kohlenutzung

Kohle wurde in Grossbritannien schon seit Jahrhunderten als Energiequelle eingesetzt. Dank ihrer Transport- und Lagerfähigkeit und der vergleichsweise hohen Energiedichte galt die Kohle lange als effizienter Brennstoff. Anfänglich wurde sie vor allem für Raumwärme verbrannt. Sie ersetzte bei dieser Anwendung nach und nach das Holz, da dank der Einführung des Kamins im 16. Jahrhundert der störende Rauch aus dem Haus geleitet werden konnte. Ihren Siegeszug startete die Kohle aber mit der industriellen Revolution. Wesentliche Entwicklungen bei der Dampfmaschine führten dazu, dass die Nachfrage nach Kohle im Vereinigten Königreich ab den 1850er-Jahren explodierte. Dampfmaschinen trieben Boote und Eisenbahnen an und wurden in Webereien und Spinnereien und in der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Kohleproduktion selbst eingesetzt.

Das weltweit erste Kohlekraftwerk zur Stromproduktion wurde von Thomas Edison 1882 in London in Betrieb genommen. Das Holborn-Viaduct-Kraftwerk hatte einen 93-Kilowatt-Generator und lieferte den Strom für rund tausend Glühlampen. Nach weniger als fünf Jahren stellte es den Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen aber wieder ein. Mit der Kohleverstromung ging es trotzdem schnell vorwärts. Bis Ende 1900 gab es in Grossbritannien bereits 61 Kohlekraftwerke mit einer installierten Leistung von über 3000 Megawatt. Bis Ende der 1960er-Jahre produzierten britische Kohlekraftwerke bereits mehr als 100 Terawattstunden elektrische Energie pro Jahr und deckten somit fast die gesamte britische Stromerzeugung ab. Bis 1980 wurde die jährliche Stromproduktion aus Kohle sogar noch auf 200 Terawattstunden verdoppelt.

Das «schwarze Gold» verlor aber zunehmend an Wichtigkeit für das Vereinigte Königreich, das sich im Strukturwandel zu einer dienstleistungsbasierten Wirtschaft befand. Die Kohleproduktion der britischen Minen hatte sich bis in die siebziger Jahre mehr als halbiert im Vergleich zu den Rekordzeiten kurz vor und nach dem ersten Weltkrieg. Die Belegschaft der Minen betrug sogar nur noch einen Viertel. Viele Kohleminen mussten aus wirtschaftlichen Gründen und durch Massnahmen der Thatcher-Regierung schliessen. Ab 1970 wurde zunehmend billigere Kohle aus dem Ausland importiert. Bis in die 1980er-Jahre hatte die Kohle auch ihr Ansehen als vielseitig einsetzbare Energiequelle verloren. Wurde sie zuvor zum Heizen, in der Industrie, bei der Eisenbahn und auch zur Gasherstellung verwendet, lieferte sie danach praktisch nur noch Strom, wobei gleichzeitig der britische Kraftwerkspark zunehmend diversifiziert wurde.

Diversifizierung der Stromversorgung

Ab den 1970er-Jahren begann sich der britische Strommix zunehmend zu verändern. Während der Kohlestrom die Jahrzehnte zuvor dominiert hatte, wurde in den 1970ern mittels Öl-und Kernkraftwerke diversifiziert. Ab 1990 gab es im Vereinigten Königreich einen Boom von Gaskraftwerken – der sogenannte «Dash for Gas». Die Stromproduktion aus Erdgas explodierte von knapp 1% im Jahr 1990 auf fast 40% im Jahr 2000. Als Gründe werden unter anderem die Privatisierung des Stromsektors im Jahr 1990, hohe Zinsen, tiefe Erdgaspreise und die technischen Möglichkeiten zum Bau von Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken genannt. Alte Kohlekraftwerke wurden abgeschaltet und der Kohlestromanteil fiel in wenigen Jahren von zwei Dritteln auf einen Drittel.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind schliesslich drei wichtige Trends in der Stromversorgung des Vereinigten Königreichs zu beobachten.

Erstens nimmt der Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion immer mehr Fahrt auf. Ihr Wert hat sich zwischen 2003 und 2023 mehr als verzwanzigfacht und entspricht heute mit mehr als 100 Terawattstunden im Jahr der Stromproduktion aus Erdgas. Das Vereinigte Königreich setzt dabei vor allem auf die Windenergie.

Zweitens sinkt die Stromproduktion innerhalb des Landes. Während 2003 noch fast 400 Terawattstunden Strom produziert wurde, betrug dieser Wert im Jahr 2023 nur noch knapp 280 Terawattstunden. Dieser Rückgang entspricht der ebenfalls sinkenden Stromnachfrage.

Drittens wurde seit 2013 die gesamte verbleibende Flotte an zwanzig Kohlekraftwerken nach und nach stillgelegt, bis im September 2024 mit der Abschaltung des Kraftwerks in Ratcliffe-on-Soar die Ära der Kohleverstromung ganz zu Ende ging. Bis vor zehn Jahren liefen die Kohlekraftwerke mit Ausnahme von Wartungsarbeiten im Sommer kontinuierlich das ganze Jahr. Danach wurden sie immer mehr nur noch für die Deckung der Spitzenlast eingesetzt, da ihre Stromproduktion bereits anderweitig ersetzt war.

Der Umbau der britischen Stromversorgung wirkte sich auch enorm auf die Treibhausgasemissionen aus, die zwischen 2012 und 2023 um fast drei Viertel fielen. So konnten seit 2012 880 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Emissionen vermieden werden, was zweimal der gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen des Vereinigten Königreichs und zweiundzwanzig Mal der gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen der Schweiz entspricht.

Langfristige Politik-Planung

Der rapide Umbau des britischen Strommix weg von der Kohle und hin zu mehr erneuerbarer Stromproduktion in den letzten zwei Jahrzehnten ist vor allem auf den politischen Willen verschiedener Regierungen zurückzuführen, die Wende zu realisieren. Für konservative Regierungen ging es dabei vor allem um die Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit, während Labour-Regierungen auch an der Senkung der Treibhausgasemissionen interessiert waren. Der Kohleausstieg und der Erneuerbaren-Ausbau entsprach all diesen Politikzielen.

Expert:innen des britischen Thinktanks Ember haben konkret fünf Politikmassnahmen identifiziert, die wichtig für den Kohleausstieg waren.

Erstens wurde mit konkreten und sich verschärfenden Klimazielen die Richtung früh vorgegeben. Der unter der Labour-Regierung von Gordon Brown und von allen grossen Parteien unterstützte UK Climate Change Act von 2008 und die Aktualisierung 2019 zeigte den entsprechenden Entscheidungsträger:innen auf, dass die Kohleverstromung ohne Massnahmen zur Emissionsminderung nicht mit den langfristigen Klimazielen vereinbar war.

Gleichzeitig kündigte 2015 die damalige konservative Energieministerin, Amber Rudd, die Abschaltung aller Kohlekraftwerke innerhalb von zehn Jahren an: «Wir müssen uns um das Vermächtnis von unzureichenden Investitionen und einem alternden Kraftwerkspark kümmern, den wir mit zuverlässigen und preiswerten Alternativen ersetzen wollen, die unsere Treibhausgasemissionen reduzieren. Es ist nicht zufriedenstellend für ein entwickeltes Land wie das Vereinigte Königreich, auf umweltschädliche, Treibhausgas-intensive 50-jährige Kohlekraftwerke zu setzen. Lassen Sie mich klarstellen: Das ist nicht die Zukunft.»

 

Zweitens wurde die Wirtschaftlichkeit der Kohlestromproduktion immer schlechter. Die Betreiber:innen von Kohlekraftwerken mussten am EU-Emissionshandelssystem teilnehmen. Da dessen Preise aber über lange Zeit sehr tief waren, führte die britische Regierung, die damals vom konservativen David Cameron und dem liberal-demokratischen Nick Clegg geführt wurden, 2013 einen Mindestpreis ein, der die Kohlestrompreise im Vereinigten Königreich stark beeinflussten. Strom aus Kohle wurde etwas teurer als Strom aus Erdgas und viel teurer als die erneuerbaren Alternativen. Zusätzlich hätten neue Emissionsvorschriften signifikante Investitionen in die veraltete Kohlekraftwerksflotte erfordert und neue Kohlekraftwerke nur mit teuren Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung ermöglicht.

Drittens half die langfristige politische Unterstützung für den Erneuerbaren-Ausbau Alternativen zur Kohlestromproduktion zu schaffen. Ab 2002 wurden Energieversorgungsunternehmen von Tony Blairs Labour-Regierung verpflichtet, einen definierten Anteil der verkauften Strommenge aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Dadurch wurde der Grundstein für die damals billigste erneuerbare Technologie, die Windkraft, gelegt. Später wurde die erneuerbare Stromproduktion auch durch gleitende Marktprämien und Einspeisevergütungen unterstützt. 2019 verabschiedete die britische Regierung schliesslich den Offshore Wind Sector Deal, der die Wichtigkeit der Windindustrie für das Land unterstreicht und den Fahrplan zu deren weiteren Unterstützung darlegt.

Viertens schaffte eine Reform des Strommarkts die Voraussetzungen für zusätzliche flexible sinkende Wirtschaftlichkeit der Kohlestromproduktion und konkrete Ausstiegspläne langfristige politische Unterstützung für den Erneuerbaren-Ausbau Stromproduktionskapazitäten. Dank dem sogenannten Kapazitätsmarkt können sowohl flexibel einsetzbare Kraftwerke als auch die flexible Reduktion des Stromverbrauchs eine zusätzliche Vergütung erhalten.

Anbieter:innen müssen ihre Kapazitäten bereithalten und zusätzlichen Strom produzieren oder einsparen, wenn die Nachfrage nicht vom regulären Strommarkt gedeckt werden kann. Inzwischen können auch Batteriespeicher am Kapazitätsmarkt teilnehmen. Die Einführung des Kapazitätsmarkts half und hilft noch, Investitionen für den Ersatz veralteter Kraftwerke zu stemmen und die Stromversorgung auch angesichts steigender Anteile der teilweise unflexiblen erneuerbaren Stromproduktion zu sichern.

Fünftens reduzierten Investitionen ins Stromnetz, die langfristige Netzplanung sowie die Anpassung der Anschlussbedingungen für neue Kraftwerke wesentlich den Zeitbedarf von Baubewilligung bis Netzanschluss. So konnte das Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau deutlich erhöht und der Bedarf für Stromproduktion in zentralen Grosskraftwerken gesenkt werden.

Folgt nun der Gas-Phase-Out?

Im Vereinigten Königreich startet nun die Ära der kohlefreien Stromproduktion. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass dank weitsichtiger Ziele, sowie der simultanen Ausstiegsund Ausbau-Planung verschiedener Regierungen die Wende innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Oder wie es Phil MacDonald, Geschäftsführer von Ember, gegenüber Euronews sagte: «Das Vereinigte Königreich bot beides, Zuckerbrot und Peitsche. Es ist wichtig einerseits zu signalisieren, dass umweltschädliche Technologien ein Ablaufdatum haben, und andererseits die Rahmenbedingungen für den Aufbau eines neuen, sauberen Energiesystems zu setzen.»

Diese Erkenntnis kann auch auf andere Länder oder Sektoren angewendet werden. So werden klimaund sicherheitspolitische sowie wirtschaftliche Gründe in naher Zukunft auch den Gasausstieg entsprechend vorantreiben. Der britische Premierminister Keir Starmer hat im letzten Dezember Pläne für eine komplett fossilfreie Stromversorgung bis 2030 angekündigt. Vielleicht heisst es also schon bald: «Right boys, that’s the end of fossil fuels in the UK for electricity.»

Fachbereich Klima & erneuerbare Energien

Léonore Hälg

Leiterin Fachbereich erneuerbare Energien & Klima 
+41 44 275 21 24
leonore.haelg@energiestiftung.ch

Illustrationen und Infografiken

Michael Stünzi, infografik.ch

Energie&Umwelt abonnieren

Abonnieren

«Energie & Umwelt»

Das Magazin der SES erscheint vier Mal jährlich. Sie können es als Print- oder Online-Ausgabe abonnieren.

Jetzt «Energie & Umwelt» abonnieren