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Energie und Umwelt - Das Stromgesetz

Suffizienz eher ja – verzichten nein, danke

Den Verbrauch zu reduzieren und den Suffizienz-Ansatz in der Gesellschaft stärker zu verankern, wären Möglichkeiten, um die Energie- und Klimaschutzziele zu erreichen. Die Berner Fachhochschule BFH hat untersucht, welche Suffizienz-Massnahmen in der Schweiz auf Akzeptanz stossen und welche eher nicht. In diesem Beitrag wird eine Auswahl erster Resultate präsentiert.

Von Jan Fivaz, im August 2024

In einer 2023 weltweit durchgeführten Umfrage unter 9220 Wissenschaftler:innen verschiedenster Fachrichtungen unterstützen 91% die Aussage, dass der Klimawandel als eine der zentralen globalen Herausforderungen nicht allein durch Klimaschutzmassnahmen im engeren Sinn gelöst werden kann, sondern dass es dazu einen weitgehenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel braucht. Allerdings waren anschliessend nur noch 51% der Befragten der Ansicht, dass sich die Wissenschaft selbst stärker dafür einsetzen sollte, damit es auch tatsächlich zu diesem Wandel kommen kann (Dablander et al., 2024).

Eine stärkere Verankerung des Suffizienz-Ansatzes in Wirtschaft und Gesellschaft wäre eine Möglichkeit, einen solchen grundsätzlichen Wandel zu erreichen, oder zumindest ein Schritt in diese Richtung. Wie das Beispiel der Wissenschaftler:innen zeigt, stellt jedoch der Schritt hin zu einem konkreten eigenen Handeln bzw. dazu, das eigene Handeln anzupassen, eine grosse Hürde dar.

Untersuchung der Akzeptanz von Suffizienz-Massnahmen in der Schweiz

Genau diesen Punkt greift das Forschungsprojekt «Sufficiency 23» der Berner Fachhochschule BFH auf. Das Projekt soll die politische Machbarkeit von Suffizienz-Massnahmen in der Schweiz abklären und wird von der Stiftung Mercator Schweiz finanziert. Als Suffizienz-Massnahmen werden im Rahmen der Studie Massnahmen verstanden, die über eine Reduktion des Konsums oder Veränderung des Konsumverhaltens zu einem insgesamt geringeren Ressourcenverbrauch führen.

Dazu wurde in einer ersten Phase eine Liste von möglichen Suffizienz-Massnahmen erstellt. Grundlagen waren eine Literaturrecherche, Interviews mit Expert:innen, je ein partizipatives Online- und Offline-Bürgerpanel sowie der direkte Austausch mit Organisationen, die sich bereits in diesem Bereich engagieren. Einzige Kriterien dabei waren, dass die Massnahmen als wirkungsvoll beurteilt werden und innerhalb der Schweiz umgesetzt werden können. Ihre politischen Realisierungschancen waren nebensächlich.

Anschliessend wurden durch das Projektteam Mehrfachnennungen und inhaltliche Überschneidungen korrigiert sowie zu technische Vorschläge etwas vereinfacht. Am Ende des Prozesses entstand eine Liste mit 43 konkreten Massnahmen (s. unten), die nun in der zweiten Phase des Projektes auf ihre politische Machbarkeit hin untersucht werden. Dies geschieht unter anderem anhand einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung unter Schweizer Stimmberechtigten. In diesem Beitrag wird nun eine Auswahl erster Resultate präsentiert.

 

Grundeinstellungen zum Klimawandel

Die Aussage, dass ein Klimawandel stattfindet, wird von 89% der Schweizer:innen unterstützt und 85% sind auch der Meinung, dass dieser durch den Menschen verursacht wird. Dies sind aus Sicht des Klimaschutzes sehr positive Befunde. Dieses Bild trübt sich jedoch etwas, sobald danach gefragt wird, wie dieser Klimawandel bekämpft werden soll. Nur 48% sind der Meinung, dass dazu gesetzliche Vorgaben oder Abgaben wie die CO2-Lenkungsabgabe notwendig sind. Mit 43% sind nur unwesentlich weniger der Meinung, dass technologischer Fortschritt und Eigenverantwortung allein dafür ausreichen. Die generelle Ausgangslage im Hinblick auf eine sich stärker am Suffizienz-Gedanken orientierende Gesellschaft kann somit als durchzogen bezeichnet werden.

Diese Zahlen müssen jedoch sehr kritisch betrachtet werden. Erfasst werden Grundeinstellungen, die keineswegs als Zustimmungsprognosen für allfällige Volksabstimmungen gesehen werden dürfen. So fehlen bei den Vorschlägen Angaben zur inhaltlichen Ausgestaltung. Zudem hat zu vielen dieser Vorschläge noch keine öffentliche Debatte stattgefunden und auch der Bundesrat, die Kantone und nicht zuletzt die Verbände und Parteien haben ebenfalls noch keine Stellung bezogen. All diese Faktoren können noch zu deutlichen Verschiebungen führen.

Interessant sind daher vor allem die relativen Unterschiede zwischen den Vorschlägen und welche Vorschläge eine hohe und welche eine deutlich weniger hohe Unterstützung erhalten. Die Bandbreite reicht von Zustimmungswerten von 87% bis 28%, was enorm ist. Immerhin zeigt sich bei drei Viertel der Vorschläge eine positive Grundeinstellung.

Persönliche Betroffenheit ist ausschlaggebend

Es fällt z. B. auf, dass es vor allem «weiche» Massnahmen sind (Sensibilisierungskampagnen, Massnahmen im Bildungsbereich), die auf eine hohe Akzeptanz stossen, oder es handelt sich um Massnahmen, die einem einen Vorteil verschaffen. Das beste Beispiel dafür ist auf Platz 1 die Forderung nach verlängerten Garantiezeiten oder eines Rechts auf Reparatur bei elektronischen Geräten. Auf den hinteren Plätzen finden sich hingegen Vorschläge, die direkt im Alltag spürbar sind und Verhaltensveränderungen erzwingen oder Mehrkosten verursachen (z. B. die Reduktion von Parkplätzen, das Verbot von Kurzstreckenflügen oder die Einführung eines Mobility Pricings).

Diese Tendenz lässt sich auch anhand eines Vergleichs von bestimmten Vorschlägen aufzeigen. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen wird von gerade einmal 31% der Befragten unterstützt. Die Einführung progressiver Preise im Flugverkehr für Vielfliegende jedoch schon von 53% und die Abschaffung der Steuerbefreiung von Kerosin würden sogar 58% unterstützen. Der rote Faden, der sich durch diese Zustimmungswerte zieht, ist die persönliche Betroffenheit durch eine Massnahme. Von einem Flugverbot für Kurzstrecken wären wohl fast alle betroffen, hingegen dürfte die Zahl der Vielfliegenden in der Bevölkerung schon deutlich geringer ausfallen und die Aufhebung der Kerosin-Steuerbefreiung stellt eine indirekte Verteuerung des Fliegens dar.

 

 

Ein ähnliches Bild zeigt sich ebenfalls beim Vorschlag, Tiefpreis-Rabatte für tierische Produkte zu verbieten. Nur gerade 44% unterstützen dies. Ein Verbot der intensiven landwirtschaftlichen Tierhaltung unterstützen hingegen 77%. Beide Vorschläge würden zu höheren Preisen führen, doch beim Verbot der Tiefpreis-Rabatte ist dies deutlich direkter und sichtbarer der Fall – entsprechend auch die höhere Ablehnung.

Gute Hinweise für die politische Arbeit

Ein erster Blick auf die Studienergebnisse bestätigt bisherige Erfahrungen. Der Klimawandel als menschengemachte Herausforderung wird zwar anerkannt und akzeptiert, dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass auf Seiten der Bürger:innen konsequent danach gehandelt würde. Sobald eine Massnahme eine grössere persönliche Betroffenheit – sei es durch Konsumverzicht oder höhere Preise – bedeutet, schwindet die Bereitschaft, diese zu unterstützen, deutlich. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für suffizientes Handeln und die Schaffung von umweltfreundlicheren Alternativen hingegen stossen auf eine höhere Akzeptanz. Hier kann die Politik ansetzen, mit ausgewogenen, sozial gerecht gestalteten Vorlagen.



Zustimmungswerte für 43 untersuchte Suffizienz-Vorschläge

Ja-Anteil

Massnahme

87 % Befürworten Sie staatliche Massnahmen für eine nachhaltigere Nutzung von elektronischen Geräten (z.B. Recht auf Reparatur, Verlängerung der Garantiefristen, längere Mindestzeiten für Software-Updates)?
87 % Sollen Themen wie der Ressourcenverbrauch und andere ökologische Aspekte in der Berufsbildung (z.B. bei der Landwirtschaft, Gastronomie, Hauswirtschaft oder Lebensmitteltechnologie) mehr Gewicht erhalten?
84 % Sollen die Gesetze so angepasst werden, dass leerstehende Gebäude einfacher für Zwischennutzungen verwendet werden können?
83 % Braucht es eine breite öffentliche Sensibilisierungskampagne, um auf Food Waste aufmerksam zu machen?
83 % Soll dem Themenbereich "Nachhaltige Entwicklung" in den Lehrplänen der Volks-, Maturitäts- und Berufsschulen mehr Gewicht eingeräumt werden?
83 % Befürworten Sie den Ausbau von internationalen Nacht- und Fernverbindungszügen?
82 % Sollen Landwirtschaftsbetriebe bei einer Umstellung auf eine umfassend nachhaltigere Produktionsweise finanziell stärker unterstützt werden?
81 % Soll bei öffentlichen Beschaffungen das Kriterium der Nachhaltigkeit mehr Gewicht erhalten (z.B. im Verhältnis zu den offerierten Preisen)?
79 % Soll die Schweiz ihre Aussenhandelsabkommen stärker an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten?
79 % Würden Sie ein Verbot von Einwegplastik und nicht-rezyklierbaren Kunststoffen befürworten?
79 % Sollen die Landwirtschaft, der Gross- und Detailhandel sowie die Gastronomie verpflichtet werden, über den Umfang der weggeworfenen Lebensmittel und die zur Vermeidung von Food Waste getroffenen Massnahmen zu informieren?
78 % Sollen umfassend nachhaltige Neu- und Umbauten (bzgl. Energieeffizienz, Wasserverbrauch, Baumaterial) finanziell vom Staat unterstützt werden?
77 % Soll die intensive landwirtschaftliche Tierhaltung (viele Tiere auf wenig Raum) verboten werden?
75 % Befürworten Sie den Ausbau von Car-Sharing-Angeboten?
74 % Soll das Ablaufdatum auf unkritischen Lebensmitteln durch ein Herstellungsdatum ersetzt werden?
72 % Soll bei Lebensmitteln umfassend deklariert werden müssen, wie sich deren Produktion auf die Umwelt und das Tierwohl auswirkt?
72 % Soll der Staat allen Familien Zugang zu bezahlbarer familienergänzender Kinderbetreuung garantieren?
71 % Soll sich die Schweiz auf internationaler Ebene für eine Landwirtschaftspolitik einsetzen, die stärker auf die UNO-Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet ist?
70 % Sollen beleuchtete Werbetafeln verboten werden?
70 % Soll Werbung für besonders klimaschädliche Produkte verboten werden?
68 % Soll beim Abriss eines Gebäudes zuerst der Nachweis erbracht werden müssen, dass der Abriss ökologischer als eine Sanierung ist?
64 % Befürworten Sie die finanzielle Unterstützung für den Ausbau von Co-Working-Räumlichkeiten ausserhalb der Städte?
64 % Sollen Bund und Kantone mehr finanzielle Mittel für den Ausbau von Fussgänger- und Fahrradwegen bereitstellen?
62 % Befürworten Sie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens?
61 % Soll der Bund darauf verzichten, Werbung für Fleischprodukte finanziell zu unterstützen?
61 % Soll der Bau von Tiny Houses als Kleinwohnform stärker gefördert werden?
61 % Befürworten Sie die Einführung einer 35-Stunden-Arbeitswoche bei gleichbleibendem Lohn?
59 % Würden Sie es befürworten, wenn beim Kauf eines elektronischen Geräts ein Depot bezahlt werden müsste, das bei dessen Rückgabe/Entsorgung zurückerstattet wird?
59 % Befürworten Sie die Einführung einer CO2-Importsteuer? Importierte Produkte würden gemessen an ihrem ökologischen Fussabdruck bei Herstellung und Transport besteuert.
58 % Soll die Steuerbefreiung von Kerosin für den Flugverkehr aufgehoben werden?
56 % Soll eine CO2-Abgabe auf alle Produkte und Dienstleistungen eingeführt werden, die den verursachten Emissionen entspricht, und die als Pro-Kopf-Beitrag der Bevölkerung zurückerstattet wird?
54 % Soll das kostenlose Retournieren von Waren im Online-Handel verboten werden?
53 % Würden Sie die Einführung progressiver Preise im Flugverkehr begrüssen (je öfter man fliegt, umso stärker steigen die Preise)?
50 % Soll es vermehrt regionale autofreie Tage (sogenannte Slow-ups) geben?
48 % Sollen tierisch hergestellte Lebensmittel, Pflanzenschutzmittel und mineralische Düngemittel künftig mit dem normalen Steuersatz von 7.7% (statt dem reduzierten Mwst-Satz von 2.5%) besteuert werden?
46 % Sollte in Zukunft anstatt des Arbeitseinkommens der Verbrauch von nicht-erneuerbaren Ressourcen sowie entstehende Abfälle und Emissionen besteuert werden?
44 % Soll ein Verbot für Tiefpreis-Rabatte auf tierische Produkte eingeführt werden?
42 % Sollten progressive Stromtarife eingeführt werden?
40 % Soll eine öffentliche Fachstelle Beratungen dazu anbieten, wie die Pro-Kopf-Wohnfläche reduziert werden kann?
38 % Befürworten Sie die Einführung eines umfassenden Mobility Pricings sowohl für den öffentlichen als auch den Individualverkehr?
33 % Befürworten Sie die Einführung eines umfassenden Road Pricing für den Individualverkehr?
31 % Soll ein Verbot für Kurzstreckenflüge (2-3h Flugzeit) eingeführt werden?
28 % Soll die Zahl der (öffentlichen und privaten) Parkplätze in den Stadtzentren verringert werden?
   

Umfrage

Die Umfrage wurde im Dezember 2023 quotengesteuert (Alter, Geschlecht, Sprache) durchgeführt. Mit 3953 Antwortenden (nach der Datenbereinigung und -gewichtung) weist die Umfrage eine hohe Zahl an Teilnehmenden auf.

Für diesen Beitrag wurde bei der Datenaufbereitung ein provisorisches Basisgewicht verwendet, das in den Qualitätstest bereits sehr gut abgeschnitten hat. Für den Schlussbericht  wird die Gewichtung noch weiterentwickelt. Somit kann es vorkommen, dass im Schlussbericht leicht andere Prozentwerte ausgewiesen werden. Die Abweichungen sollten sich jedoch auf wenige Prozentpunkte beschränken und die generelle Aussage der Analysen nicht verändern.


Vollständige Studie, Schlussbericht

Wird ab Oktober 2024 hier veröffentlicht: www.bfh.ch/de/forschung/forschungsprojekte/2022-403-089-696/


Literaturhinweis

Dablander, Fabian, Maien S. M. Sachisthal, Viktoria Cologna, Noel Strahm, Anna Bosshard, Nana-Maria Grüning, Alison J. K. Green, Cameron Brick, Adam R. Aron und Jonas M. B. Haslbeck (2024). Climate Change Engagement of Scientists. In: Nature Climate Change: https://doi.org/10.1038/s41558-024-02091-2.

Felix Nipkow

Jan Fivaz

Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut «Public Sector Transformation» der Berner Fachhochschule BFH

Illustrationen

Clara San Millán, Zürich

www.clarasanmillan.com

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