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Neue Super-Reaktoren? Trügerische Euphorie um Startup-Visionen

Fabian Lüscher,

Versprechen neuartiger Super-Reaktoren sind für die kurz- und mittelfristigen Herausforderungen unserer Energieversorgung nicht tauglich. Zu viele Aspekte sind noch ungeklärt.

Neue Super-Reaktoren? Trügerische Euphorie um Startup-Visionen

Das Schweizer Startup Transmutex ist auf der Suche nach Investoren und sorgt dank guter PR in unregelmässigen Abständen für Aufsehen: Es versucht, ein beschleunigerbetriebenes Atomkraftwerk zu entwickeln, das nebst der Stromerzeugung auch noch hochradioaktive Abfälle reduzieren soll. In einer allzu oft von Machbarkeitsfantasien beseelten Berichterstattung vermischt sich zuweilen Anspruch und Realität. Stattdessen tut man gut daran, zwischen Forschungsprojekten, Startup-PR und verfügbaren Technologien zu unterscheiden. Zumindest sollten energiepolitische Debatten angesichts der akuten Krisen nicht auf fernen technologischen Visionen basieren, sondern auf tatsächlich realisierbaren Lösungen.

Die Vision: ein beschleunigergetriebener Reaktor

Das Revival der beschleunigerbasierten Systeme (Accelerator-Driven Systems; ASR), wie es unter anderem dem Genfer Startup Transmutex vorschwebt, ist als Forschungs- und Entwicklungsprojekt durchaus spannend. Für die kurz- und mittelfristigen Herausforderungen unserer Energieversorgung aber untauglich. Es handelt sich hier um Konzeptarbeiten, die heute weit davon entfernt sind, irgendeinen Beitrag zur Stromproduktion oder zum Abfallmanagement zu leisten. Die Idee, einen Reaktor mithilfe eines Beschleunigers zu betreiben, wurde seit den 1990er Jahren immer wieder diskutiert. Sie hat unbestritten Vorteile gegenüber den heute industrietypischen Systemen. Insbesondere basiert dieses System auf einem unterkritischen Reaktorkern: Eine Spaltungsreaktion findet nur statt, solange eine Neutronenquelle in ebendiesem Kern von einem Teilchenbeschleuniger beschossen wird. Das heisst, dass bei Ausserbetriebnahme des Beschleunigers die Kernreaktion sofort unterbrochen wird – anders als bei allen heute genutzten Reaktoren, die auf einer selbsterhaltenden Reaktion basieren und damit das Risiko einer unkontrollierten Reaktivitätsexkursion mit sich bringen.

ADS machen weitere Versprechen, wie etwa die theoretische Möglichkeit, Thoriumbrennstoff zu verwenden, dem man Bestandteile der heute anfallenden hochradioaktiven Abfälle beimischen könnte. Die Herausforderungen auf dem Weg dorthin sind aber riesig. So müsste etwa eine komplett neue Lieferkette für Thoriumbrennstoff entwickelt werden, während parallel die technische Infrastruktur zur Abfallbehandlung entwickelt, gebaut und genehmigt werden müsste. Stand heute gilt die sogenannte Partitionierung und Transmutation von hochradioaktiven Stoffen zwar als zumindest teilweise machbar, aber auch als technisch herausfordernd, extrem aufwändig und enorm teuer.

Unzählige Fragezeichen

Die Fragezeichen, die man hinter die grossen Versprechen von Transmutex machen muss, sind zahlreich und betreffen ganz besonders den Übergang vom Forschungsprojekt zur industriellen Anlage. Ein Übergang der noch Jahrzehnte entfernt ist. Es lohnt sich unbestritten und gerade für technikbegeisterte Beobachter:innen, solche Forschungsprojekte aufmerksam zu verfolgen, ohne aber vorschnell die Lösung aller Atomsorgen zu verkünden. Für eine tiefgehende Analyse der tatsächlichen Möglichkeiten und Probleme eines marktfähigen ADS-Reaktors ist es viel zu früh. Sollte sich ein solches Konzept in der fernen Zukunft als „flugfähig“ erweisen, wäre dann eine eingehende Prüfung aller Chancen und Risiken dieser Technologie durchzuführen und vor allem eine Abwägung gegenüber erprobten und günstigeren Optionen.

Letztlich muss man sich – und das geht in der begeisterungsfähigen Berichterstattung zuweilen unter – unbedingt Fragen des Zeithorizonts, der Wirtschaftlichkeit, der Nonproliferation und der nuklearen Sicherheit solcher Projekte stellen – wenn auch nicht die gleichen, wie bei heute üblichen Reaktoren. Was den Zeithorizont angeht, sei der Hinweis darauf erlaubt, dass die Firma Transmutex 2022 die Absicht erklärt hat, mit einer Tochtergesellschaft des russischen Atomriesen Rosatom zusammenzuarbeiten. Angesichts der geopolitischen Situation sind grosse Bedenken angebracht, inwiefern diese Kooperation weitergehen kann oder soll.

Interessant ist auch, dass im jüngsten Beitrag über Transmutex die Rede davon ist, dass in zehn Jahren ein Prototyp bereit sein soll. Noch vor zwei Jahren wurde der gleiche Prototyp für das Jahr 2030 angekündigt. Mit anderen Worten: In nur zwei Jahren hat sich allein der Zeitplan für einen Prototypen bereits um drei Jahre nach hinten verschoben. Auch hier zeigt sich, dass man gut daran tut, Versprechen eines Startups während der Investorensuche nicht einfach als gegebene Fakten zu verklären. Insbesondere sollten sie nicht als Argument in der heutigen energiepolitischen Diskussion verwendet werden.

Fabian Lüscher

Fabian Lüscher

ehem. Leiter Fachbereich Atomenergie



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