Stromabkommen CH - EU: Intensivierte Sondierung statt intensiver Entwicklung
Anna Stünzi,
2007 gab es keine Energiekriese in Europa und die Schweiz hatte noch kein Netto Null-Ziel für seine Energieversorgung im Jahr 2050. Damals haben die Schweiz und die EU Verhandlungen zu einem bilateralen Abkommen im Elektrizitätsbereich initiiert. Das europäische Stromsystem wird laufend weiterentwickelt, die Schweiz sollte rechtlich und politisch eingebunden werden.
15 Jahre später gibt es noch immer kein Stromabkommen. Dies, obwohl die bereits früh geäusserten Warnungen zu den Herausforderungen und Kosten, die das Aussenvorbleiben der Schweiz mitbringen, sich immer stärker zeigen. Besonders in den kommenden Jahren fehlen in der Schweiz Produktionskapazitäten und sie ist entsprechend auf Importe angewiesen. Eine neue Regelung in der EU bedingt ausserdem, dass ab 2025 mindestens 70% der verfügbaren grenzüberschreitenden Kapazität für den Stromhandel zwischen den EU-Mitgliedstaaten reserviert ist. Einerseits könnte der Schweiz dadurch weniger Strom zu Verfügung stehen. Andererseits könnten Eingriffe notwendig werden, um das Netz bei ungeplanten Stromflüssen stabil zu halten. Mit einem Stromabkommen würde die Schweiz frühzeitig informiert.
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Wichtig ist: Die Verhandlungssituation ist nicht mehr die gleiche wie 2007. Noch immer sind Fragen zu klären. Das Parlament hat die Liberalisierung des Stromnetzes vorerst in die Ferne gerückt. Das ist das eine Problem. Die Finalisierung des Abkommens, oder zumindest technische Abkommen zur Überbrückung abzuschliessen, benötigt aber auch die Energie für eine andere Verhandlung.
Denn der Abschluss des Stromabkommens ist seit 2012 an die Klärung der institutionellen Fragen gekoppelt. Die Verhandlungen zum sogenannten Institutionellen Abkommen (InstA) hat der Bundesrat im Mai 2021 abgebrochen. Die diplomatischen Beziehungen kühlten danach erstmal merklich ab. Im März dieses Jahres starteten dann sogenannte Sondierungsrunden. Um den Spielraum zu vergrössern, hat die Schweiz eingebracht, das Verhandlungspaket unter anderem um den Bereich Strom zu ergänzen.
Nach der sechsten Sondierungsrunde im November 2022 deutet sich an: Die EU setzt weiterhin voraus, dass die institutionellen Fragen geklärt werden. Gleichzeitig scheint eine Offenheit zu bestehen, in relevanten Streitfragen der Schweiz entgegenzukommen und einen solchen Gesamtpaketansatz zu verhandeln. Aber eben als Paket. Deswegen der EU die Schuld zu geben für das fehlende Stromabkommen, wäre falsch.
Die Kommunikation in der Schweiz indes lautet, dass man diese Sondierungen vorerst intensivieren will. Parallel dazu laufen innenpolitische Gespräche. Bleibt zu hoffen, dass sie so intensiv werden, dass bald Strom fliesst.
Anna Stünzi
PostDoc Universtität St.Gallen, Präsidentin von foraus, dem Schweizer Think Tank zur Aussenpolitik