energiestiftung.ch energiestiftung.ch Medien → Medienmitteilung

Stromreserve: Gesamtschau gefordert – Versorgung sichern mit klaren Regeln und Verbrauchsreserve

Marcel Tobler,

Der Bundesrat arbeitet mit Hochdruck an der Etablierung von Reservekapazitäten zur Sicherung der Stromversorgung in der Schweiz. Dabei fokussiert er einseitig auf thermische Reservekraftwerke. Die Schweizerische Energiestiftung fordert vom Bundesrat einen Schritt zurück. Nötig sind eine Gesamtschau zu Strommangellagen und klare Einsatzkriterien für Notmassnahmen. Die Stromreserve-Vorlage, die das Parlament voraussichtlich in Kürze verabschiedet, muss dabei eingeplant werden. Zudem braucht es mehr Engagement für die Prävention – etwa durch ein Stromabkommen mit der EU und den Ausbau erneuerbarer Energien.

Im Winter 2022/2023 drohte eine Strommangellage aufgrund des knappen Gasangebots und der Ausfälle der französischen AKW. Das Parlament arbeitete am Stromgesetz und nahm Speicherwasserkraftwerke und eine Verbrauchsreserve als mögliche Reserven ins Gesetz auf. Parallel dazu erliess der Bundesrat gestützt auf das Landesversorgungsgesetz die befristete Winterreserveverordnung und bewilligte das Reservekraftwerk in Birr. Am 14. Mai 2025 verkündete der Bundesrat dann voreilig den Zuschlag für neue Reservekraftwerke, während das Parlament noch an einer Stromreserve-Vorlage arbeitet, die in der bevorstehenden Sommersession zur Schlussabstimmung kommen wird.

Missachtung der gesetzlichen Grundlagen

Die befristete, notrechtlich erlassene Winterreserve-Verordnung entspricht nicht den durch das Volk im Stromgesetz legitimierten gesetzlichen Rahmenbedingungen. Jetzt soll sie sogar verlängert werden und gleichzeitig hat das UVEK auf dieser ungenügenden Grundlage neuen, permanenten Reservekraftwerken nach Direktverhandlungen der Zuschlag erteilt. Darüber hinaus blieb die vom Parlament geforderte Verbrauchsreserve in den Ausführungsverordnungen zum Stromgesetz gänzlich unberücksichtigt. Dieses Vorgehen des Bundesrats ist mangelhaft und missachtet den Willen des Parlaments und des Volks.

Fehlende Kriterien für Notmassnahmen

Letzten Freitag (23. Mai 2025) hat der Bundesrat zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) Stellung genommen. Die GPK-N wie auch das Bundesverwaltungsgericht kritisierten die fehlende Transparenz, inwiefern der Bundesrat die drohende Strommangellage und somit die ausserordentliche Betriebsbewilligung für das Reservekraftwerk in Birr begründete. In seiner Stellungnahme behauptet der Bundesrat, es gebe keine messbaren Kriterien zur Auslösung von Notmassnahmen, was erstaunt.  

Gesamtschau und Umsetzung Verbrauchsreserve gefordert

Aus Sicht der Schweizerischen Energiestiftung sind die Beschlüsse für neue Reservekraftwerke darum überhastet und nicht berechtigt. Es braucht einen Schritt zurück. Der Bundesrat, beziehungsweise das UVEK und das WBF, wo das Bundesamt für Landesversorgung angesiedelt ist, müssen zuerst eine Gesamtschau mit möglichen Szenarien zu Strommangellagen vorlegen. Dabei sind folgende Aspekte zu klären:

  • Definition der Strommangellage und ihres Schweregrads:
    Für den Erlass von Notmassnahmen braucht es vordefinierte Abstufungen des Schweregrads einer Strommangellage und die Definition entsprechender Interventionen, um Klarheit für alle Akteur:innen zu schaffen (analog Epidemiengesetz mit «besonderer» und «ausserordentlicher» Lage). Dazu sind messbare Kriterien heranzuziehen, die die Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage voraussagen, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von Kraftwerken und Brennstoffen sowie die meteorologischen Bedingungen.
  • Massnahmen-Kaskade:
    Für die Reservekapazitäten gibt es in der Winterreserveverordnung (unter Ägide des Bundesamts für Energie BFE / UVEK) relativ klare Bedingungen, aber wie diese mit den Interventionsmassnahmen zur Abwendung von Strommangellagen wie Kontingentierungen (in der Verantwortung des Bundesamts für Landesversorgung BLV / WBF) zusammenspielen, ist unbekannt. Hier besteht dringender Klärungsbedarf, insbesondere welche Massnahmen in welcher Abfolge und zu welchem Zeitpunkt – vor oder während einer Strommangellage – zum Tragen kommen.
  • Umsetzung der Stromreserve-Vorlage inklusive Verbrauchsreserve:
    Die Stromreserve-Vorlage des Parlaments muss aus Sicht der Schweizerischen Energiestiftung umgehend und umfassend umgesetzt werden. Insbesondere sollen die Grundlagen für die Verbrauchsreserve schnell in Kraft treten. Dabei verpflichten sich stromintensive Unternehmen gegen ein Entgelt bei Bedarf und nach bestimmten Voraussetzungen – die mit der geforderten Definition der Mangellagen und der Massnahmen-Kaskade festzulegen sind – ihren Stromverbrauch wesentlich zu reduzieren. Die Verbrauchsreserve ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll und wird auch von Wirtschaftsverbänden wie economiesuisse und Swissmem unterstützt.
  • Nutzung bestehender Möglichkeiten und Verzicht auf neue Reservekraftwerke:
    Die Eidg. Elektrizitätskommission (ElCom) hat Anfang Mai informiert, dass sie für die Schweiz ab 2030 500 MW Reservekapazitäten als sinnvoll erachtet – ohne die Art der Reserve zu definieren. Diese Grösse wird mit der aktuell unter Vertrag stehenden Reservekapazitäten aus Wasserkraft, existierenden Reservekraftwerken und Pools von Notstromaggregaten bereits erreicht.
    Zusätzlich dazu besteht ein grosses Potential für die zuvor beschriebene Verbrauchsreserve sowie für zusätzliche Pools von bestehenden Notstromaggregaten, die mit der Stromreserve-Vorlage mobilisiert werden können. So hat das BAFU bereits 2019 ein Potential von 1800 MW an grossen Notstromaggregaten erhoben. Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht der Schweizerischen Energiestiftung kein Bedarf für teure neue Kraftwerke.

Massnahmen zur Verhinderung einer Strommangellage

Für die Bevölkerung und die Wirtschaft der Schweiz ist eine qualitativ hochwertige und vor allem unterbrechungsfreie Stromversorgung elementar. Reservekapazitäten können als wichtige Versicherung im Notfall dienen. Aus Sicht der Schweizerischen Energiestiftung ist es aber klar zielführender, die Massnahmen nicht nur einseitig auf die nachgelagerte Bewältigung eines solchen Ereignisses zu fokussieren, sondern in erster Linie und verstärkt auf dessen Verhinderung. Das würde die Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage und den Bedarf an Reservekapazitäten reduzieren. Darum erwartet sie vom Bundesrat ein entsprechendes Engagement in den folgenden Bereichen, die auch von der ElCom als zentrale Elemente identifiziert wurden:

  • Stromabkommen mit der EU:
    Das Stromabkommen wird die Versorgungssicherheit der Schweiz stärken. Dies dank einem gesicherten grenzüberschreitenden Stromaustausch, der Teilnahme der Schweiz an europäischen Regel- und Reserveenergiemärkten und verbessertem Informationsaustausch.
  • Ausbau der Stromeffizienz und erneuerbaren Stromproduktion:
    Weniger Stromverbrauch und mehr inländische Stromproduktion helfen grundsätzlich und dauerhaft, die Wahrscheinlichkeit eines Versorgungsengpasses zu senken. Dies zeigen neben den Zahlen der ElCom auch eine Studie der ETH und ZHAW vom Januar 2025. Investitionen in die Stromeffizienz und erneuerbare Stromproduktion unterstützen aber nicht nur bei der Versorgungssicherheit, sondern liefern das Jahr über ihren Beitrag zur Energiewende.
Fachbereich Klima & erneuerbare Energien

Léonore Hälg

Leiterin Fachbereich erneuerbare Energien & Klima 
+41 44 275 21 24
leonore.haelg@energiestiftung.ch



Zurück