Energiewende in Bundesbern: ein Zwischenstand
Der sogenannte Mantelerlass Energie beschäftigt das eidgenössische Parlament und auch die SES seit geraumer Zeit.
Von Léonore Hälg, Thomas Wälchli und Fabian Lüscher*
Der Mantelerlass Energie beinhaltet die Revision des Energie- und des Stromversorgungsgesetzes und hat einen grossen Einfluss auf das Tempo, mit dem die Energiewende umgesetzt werden wird. Erste wichtige Entscheide hat das Parlament bereits definitiv getroffen. Eine Einschätzung.
Zielvorgaben: ein lachendes und ein weinendes Auge
Im Herbst 2022 startete die Debatte zum Mantelerlass im Ständerat gleich mit einem Paukenschlag. Das Stöckli entschied sich mit überw.ltigender Mehrheit für den Vorschlag der vorberatenden Kommission zu Artikel 2 des Energiegesetzes: die Erhöhung der Ausbauziele für die erneuerbare Stromproduktion. Während der Bundesrat in seinem Entwurf noch ein halbherziges Ziel vorschlug und dieses als ambitioniert zu verkaufen versuchte, schlug der Ständerat einen wichtigen Pflock ein. Er erhöhte den bundesrätlichen Vorschlag um das Doppelte und setzte das Ziel, dass die erneuerbare Stromproduktion ohne Wasserkraft bis 2035 35 Terawattstunden zu betragen hat. Im Frühling folgte der Nationalrat diesem Vorschlag. Das ständerätliche Ausbauziel entspricht genau unseren Berechnungen zusammen mit der Umweltallianz, wie viel zusätzlichen Strom wir bis 2035 für die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung und den Ersatz der Atomstromproduktion tatsächlich brauchen werden. Ein schöner Erfolg.
Geht in der Schweizer Energiepolitik bald die Sonne auf? Bild: Jokrapf/wikimedia.org.
Ernüchternder ist die Bilanz bei den Verbrauchszielen. Hier hat das Parlament den Vorschlag des Bundesrats tel quel übernommen. Dieser sieht zwar vor, dass sich der Energieverbrauch pro Kopf bis 2050 gegenüber dem Jahr 2000 mehr als halbieren soll. Angesichts der Einsparungen, die durch den Ersatz fossiler Energieträger im Verkehr und in den Gebäuden durch energieeffizientere klimafreundliche Alternativen sowieso passieren werden, ist das Ziel aber wenig ambitioniert. Das Energiesparen fristet in der Bundespolitik noch immer ein Mauerblümchendasein. Bezeichnend dafür ist, dass der einzige Diskussionspunkt in beiden Räten die Frage war, ob statt der verbindlichen Verbrauchsziele unverbindliche Verbrauchsrichtwerte definiert werden sollen. Dass die günstigste und nachhaltigste Energie die ist, die gar nicht erst verbraucht wird, scheint in Bern immer noch nicht angekommen zu sein.
Nicht mehr, aber flexibler einsetzbares Geld
Heute wird auf jede verbrauchte Kilowattstunde Strom ein Netzzuschlag erhoben und damit ein Fonds geäufnet, der den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion mitfinanziert. Je höher der Netzzuschlag, desto mehr Anlagen können unterstützt werden oder desto höher fällt die Unterstützung aus. In den Diskussionen wurde schnell klar, dass eine generelle Erhöhung des Netzzuschlags angesichts der aktuell hohen Strompreise keine Chance haben wird. Alle Anträge aus dem links-grünen Lager in diese Richtung wurden abgelehnt. Die SES forderte im Vorfeld zur Debatte eine Flexibilisierung der Höhe des Netzzuschlags je nach Stand der Zielerreichung des Erneuerbaren-Ausbaus und je nach Strommarktpreis. Ein solcher Vorschlag erwies sich in der Debatte als zu komplex. Dennoch freuen wir uns über eine «kleine» Flexibilisierung. Beide Räte haben nämlich beschlossen, dass sich der Netzzuschlagsfonds in Zukunft in gewissen Mass verschulden darf und so dynamisch, aber zeitlich begrenzt auf Bedarfsveränderungen reagieren kann.
Mantelerlass bleibt atomfrei
Angesichts der aktuellen Energiekrise kramten AKW-Verfechter:innen die Atomdebatte aus der Mottenkiste. Dass AKW-Forderungen völlig ungeeignet sind, um die akuten Probleme zu lösen, interessiert sie und ihre Klientel wenig. Die Atomanträge in den beiden Räten folgten denn auch dieser Logik. Anstelle eines Frontalangriffs auf das Neubauverbot wurde versucht, dieses mit Ausnahmeregelungen auszuhöhlen und den Langzeitbetrieb zusätzlich zu subventionieren. Die Forderungen blieben jedoch chancenlos.
Nach der Parlamentsdebatte bleibt zumindest der Mantelerlass atomfrei. Es wird jedoch noch einige Debatten zu führen geben, bis das Thema endgültig vom Tisch ist.
Wie geht es weiter?
Die Sommersession bedeutet eine neue Runde für den Mantelerlass. Wichtige Entscheide stehen vor allem noch beim Solarstandard für Gebäude und Parkplätze sowie bei der Verpflichtung der Energieversorger, für Stromsparmassnahmen zu sorgen, aus. Differenzen beispielsweise im Naturschutzbereich und bei verschiedenen Massnahmen bezüglich der Rolle der Verteilnetzbetreiber:innen in der Energiewende müssen auch noch bereinigt werden. Die SES rechnet mit einem Abschluss der parlamentarischen Arbeit im Herbst.
*Die Autor:innen
Léonore Hälg
Leiterin Fachbereich erneuerbare Energien & Klima
+41 44 275 21 24
leonore.haelg@energiestiftung.ch
Simon Banholzer
Leiter Politik
+41 44 275 21 22
simon.banholzer@energiestiftung.ch
@Simon_Banholzer
Stephanie-Christine Eger
Leiterin Fachbereich Atomenergie
+41 44 275 21 20
stephanie.eger@energiestiftung.ch
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